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Interview mit den SPIELLEUT in der Karfunkel Nr. 35
Ausgabe August-September 2001 auf den Seiten 36-40

Vielen Dank für die freundliche Erlaubnis der Karfunkel-Redaktion dieses Interview hier abdrucken zu dürfen. Weitere Informationen über Karfunkel findet ihr unter www.karfunkel.de

Doch nun zum Interview.

Die SPIELLEUT - Musikanten und Verleger

Mittelalterlich angehauchte Musik boomt hierzulande noch nicht lange.  Doch Pioniere, die den Weg hierzu ebneten, gibt es bereits seit dem Folk-Revival der 70er Jahre. Zu ihnen gehört die Gruppe Spielleut, die  vor fast fünfundzwanzig Jahren ihre Freude daran entdeckte, altes Liedgut auszugraben und für heutige Ohren hörenswert aufzubereiten. Doch nicht nur als Musiker sind sie heutigen Künstlern richtungsweisend. Mit ihrem Verlag der Spielleute geben sie allen an Mittelalter- und Renaissancemusik Interessierten umfangreiches Informationsmaterial an die Hand. In einem Interview mit Daniela Meier von Karfunkel gaben die Gründungsmitglieder Gert Dannemann und Willi Schühle am 24. Februar 2001 Einblick in das stete Auf und Ab ihrer turbulenten Band- und Verlagsgeschichte:

Wie habt ihr euch gefunden?
Willi: Kennengelernt haben sich Gert, Hartwig Büsemeyer, Dieter Rurländer und ich Mitte der 70er Jahre im „Forum 3“ in Stuttgart.
Gert: Dort gab es Folksong-Meetings, donnerstags auch offene Bühne und ab und zu Konzertauftritte. Gemeinsam mit den anderen haben wir alle möglichen Richtungen ausprobiert: englisch, amerikanisch, etwas französisch und irisch. Deutsch war noch nicht angesagt. Dann sangen Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz eines abends zum ersten Mal vier deutsche Lieder, die ich zufällig auf Band aufnahm. Dies war die Geburtsstunde der Gruppe Zupfgeigenhansel. Wir selbst haben die Idee, deutsche Volkslieder zu spielen, für uns aufgegriffen. Dafür mußten Instrumente wie die Mandoline her, die ich auf einem Flohmarkt erstand. Hartwig brachte einen selbstgebauten Dulcimer mit. Gruppen wie Singspiel sowie Elster Silberflug fingen damals ebenfalls mit deutschem Folk an.

Wie seid ihr an die Quellen herangekommen?
Gert:
 Damals gab es noch sehr wenig Material. Wir ließen uns inspirieren von Aufnahmen der Gruppe Musiciens de Provence oder Thomas Binkley, Leiter des Studios der Frühen Musik, Basel. Seine ersten Platten waren eine Fundgrube. Die Frage war: Was können wir überhaupt davon spielen? Zum Beispiel fanden sich in der Renaissanceliteratur zahlreiche Stücke, die gut spielbar waren. Allerdings gab es keine Noten. Da habe ich mir selbst eine Tabulatur für Mandoline und Cister ausgedacht. Zudem stöberten wir weitere alte Instrumente auf. Eine wahre Entdeckung war die Drehleier!  
Willi: Tom Kannmacher, einer der Pioniere alter teutscher Musik, saß eines Abends im Forum auf der Bühne mit so einem komischen Teil, von dem ich mich fragte: Was ist denn das? Das klingt ja grausam! Übrigens spielte er damit „Es ist ein Ros‘ entsprungen“...

Wir selbst als schwäbischer Shanti-Chor waren da mitten drin!

Wie ging es weiter?
Gert:
 Wir haben sämtliche Festivals der damaligen Zeit in Süd- und Norddeutschland mitgemacht. In Tübingen auf dem Folk-Festival haben wir einem ungarischen Leierspieler eine Drehleier für DM 800,- abgekauft, von der wir keine Ahnung hatten, wie sie zu spielen war. So erfuhren wir von dem Treffen der Drehleier- und Dudelsackspieler in Eveshausen im Hunsrück, das sich für die Bordun-Szene aus den Folk-Festivals auf der Burg Waldeck heraus entwickelt hatte. Als wir diese Leute dort trafen, warf einer nur einen kurzen Blick auf unsere Leier und meinte: „Nagelt sie an die Wand oder verheizt sie!“ Ein wirklich warmherziger Empfang! Bei dieser Wochenendveranstaltung, die rund drei Mal im Jahr stattfand, kamen Musiker und Instrumentenbauer aus Belgien, Holland, Frankreich, Schottland und dem gesamten rheinischen Raum zusammen, um sich auszutauschen. 
Willi: Es gab Kurse über Rohrblattbau  oder das Einrichten der Leier. Eveshausen hatte auf mich persönlich den größten Einfluß. Wir haben sehr viel gelernt und hatten ungeheuren Spaß beim gemeinsamen Musizieren. Es gab ständig Bewegung in der Szene. Wir selbst als schwäbischer Shanti-Chor waren da mitten drin!
Gert: Dort lernten wir Herman Dewit von´T Kliekske und Remy Dubois kennen, den europäischen Dudelsackbauer der halbgeschlossenen Spielweise. Von diesen Spezialisten haben wir Instrumente gekauft, obwohl wir manche ebenso selbst bauten, wie Elke Rogge beispielsweise ihre Drehleier.
Die Elsässer Folk-Szene wiederum fand sich beim Pfiffertag in Lautenbach ein, einer traditionellen Einrichtung der mittelalterlichen Spielleute im Elsaß. Im Schwarzwald führte der Dudelsack- und Drehleierspieler Helmut Mossmann das traditonelle Treffen der Spielleute-Zunft fort. Dies fand an Pfingsten  auf dem Sodhof im Schuttertal statt, ein weiteres in Belgien, von Hermann Dewit organisiert, der als Dudelsack-Papst der damaligen Zeit galt.

Wann habt ihr offiziell begonnen, als Spielleut aufzutreten?
Gert: 
Die Geburtsstunde war 1977 bei unserem ersten Auftritt in Leonberg. Allerdings hatten wir noch keinen richtigen Namen, sondern standen auf der Bühne als „Willi, Dieter und Gert“. Als Hartwig hinzukam, wurde bei einem Auftritt seitens des Veranstalters beschlossen: „Ihr heißt Sturmsack“!
Willi: Abgeleitet von Windbeutel...

Der Begriff Spielleut ist nach allen Seiten offen und legt uns auf keine bestimmte Musikart fest.

Gert: In der Stuttgarter Abendschau wurde eines unserer Stücke vorgestellt, und so erhielten wir weitere Auftrittsangebote. Dieter stieg zu diesem Zeitpunkt bei uns aus, Martina Sirtl kam hinzu. Nach dem ganzen Windbeutel-Sturmsack-Desaster war es höchste Zeit, sich einen Namen zu überlegen.
Willi: Da wir keinen geeigneteren fanden, hat sich aus all den Diskussionen ein allgemein verbindlicher ergeben. Der Begriff Spielleut ist nach allen Seiten offen und legt uns auf keine bestimmte Musikart fest. 

Allerdings werdet ihr jetzt oftmals mit den Freiburger Spielleyt verwechselt...
Gert:
 Ja. Sie hatten sich zur selben Zeit wie wir gegründet und ebenfalls Spielleyt genannt. Wir wußten nichts voneinander und haben uns erst später kennengelernt. Um sich von uns abzuheben, gaben sie sich den Namen Freiburger Spielleyt

Ihr wiederum wurdet als Stuttgarter Spielleut bezeichnet?
Gert:
 Dazu haben uns die Medien ausgerufen, wir selbst haben uns nie so genannt.
Willi: Es wurden verschiedene Lokalitäten verwendet, meistens nach dem jeweiligen Wohnort unseres Managers Hartwig. Einmal sind wir also die  Fellbacher Spielleut, einmal die Esslinger Spielleut.

Musikalisch seid ihr ja nicht allein auf mittelalterliche Musik begrenzt, sondern habt eher Renaissance-Stücke in eurem Repertoire?
Gert: 
Das liegt daran, weil die Stücke aus der mittelalterlichen Literatur sehr schwer zu spielen sind. Bei der Renaissance-Musik waren die städtischen Spielleute zum Großteil eher bessere Laien, die somit ganz einfache Stücke spielten. 
Willi: Es gibt zwei Anhaltspunkte: Zum einen mußt du die Musik selbst aufführen können, zum anderen kommt es auf dein Publikum an. Wir spielen eben hauptsächlich in Schänken und auf Plätzen, wo das Publikum eingängigere Melodien lieber mag als komplizierte.
Gert: Ja, echte Mittelaltermusik ist für uns Menschen von heute schwerer zu begreifen...
Willi: Mir selbst ging es so, als mir eines Tages gesagt wurde: Das ist eure mitteleuropäische, auch deutsche Musiktradition. Da es sich sehr orientalisch anhörte, wäre ich nie darauf gekommen. Wir sind ja musikalisch mit Dreiviertel- und Viervierteltakten sowie Halbtonabständen erzogen worden und kennen so etwas nicht. Da wir keine studierten Musiker sind und die Musik Spaß machen soll, führen wir das auf, was wir auch begreifen können.
Gert: Vor allem bei den Liedern gab es Probleme. Natürlich wollten wir uns von dem volkstümlichen Gedudel abheben, doch gutes Liedgut zu finden, gestaltete sich schwierig. Deutsche Übersetzungen britischer oder irischer Stücke können wir dem Publikum nicht zumuten. Aber welche deutschen Lieder haben wir? Das Liedgut des Dritten Reiches war tabu, die Romantik war auch nicht unser Ding, und jetzt such mal! Am schwierigsten ist es, gute Liebeslieder zu finden oder solche, in denen die Frauen nicht immer als totale Deppen dastehen. Die Frauenlieder vom rororo-Verlag und anderes gab es zu der Zeit noch nicht. Bei den Stücken, die wir fanden, mußten wir teilweise auch Texte verändern, um sie nicht so platt klingen zu lassen.
Willi: Es gab durchaus einige Anlaufstellen, bei denen es sich lohnte, zu forschen, wie beispielsweise die Landesbibliothek in Stuttgart oder das Freiburger Liederarchiv. Bücher von Steinitz oder der Nachlaß von Peter Rohland taten ein übriges...

Das Lustige daran ist ja, daß wir oftmals Stücke junger Bands hören, bei denen wir denken: Hoppla, das ist doch von uns!

Gert: ... oder Stücke aus dem Original-Zupfgeigenhansel. Die Gruppe Zupfgeigenhansel hat selbst geforscht und gesammelt und ebenfalls ein Liederbuch veröffentlicht. Wir alle waren zur selben Zeit am selben Thema dran. Vom Treffen in Eveshausen kamen die ersten Sammlungen her, die in unserem Verlag herauskamen. So hatten wir einen gewissen Fundus, zuzüglich der Platten, die von irgendwelchen Gruppen damals schon vorhanden waren.

Ist es somit für heutige Bands leichter, diese Art von Musik zu machen als für euch?
Willi:
 Zumindest kommen sie an die Quellen wesentlich leichter heran. Und sie haben mehr Hörbeispiele, wenngleich sie dadurch natürlich sehr beeinflußt werden. Wir hatten eigentlich das Glück, in einem relativ luftleeren Raum anzufangen und uns recht eigenständig entwickeln zu können. Natürlich wurden auch wir von anderen beeinflußt, aber sicherlich nicht in dem Ausmaß wie bei heutigen Bands, die sich an einer Fülle von CD’s anderer orientieren können.
Gert: Das Lustige daran ist ja, daß wir oftmals Stücke junger Bands hören, bei denen wir denken: Hoppla, das ist doch von uns!
Willi: Wir merken es an Wendungen oder dem Arrangement, das wir uns haben einfallen lassen. Die Freiheit, Stücke in unserem Sinne abzuändern, haben wir uns ja immer genommen.

Zu euren Produktionen:  „Guten Abend, Spielmann“ gibt es jetzt nur noch in einer limitierten Auflage als LP?
Willi:
 Ja, wir haben aber vor, die Stücke sukzessive auf unserer Homepage zum Runterladen einzustellen. Zwei sind bereits komplett als MP3 in guter Qualität erhältlich.

Was bedeutet der Titel eurer CD „Blas mir den Hobel aus“?
Gert:
 Das Stück stammt aus der Ostracher Liederhandschrift, Mitte des 18. Jahrhunderts. Die meisten der Lieder darin sind ziemlich moralin-sauer. Verwenden konnten wir nur dieses eine. Ich kannte es als das badische Sprichwort: „Du kannst mir am Hobel blasen“, schwäbisch frei übersetzt: „Du kannst mich am A... lecken“.

Warum habt ihr ausgerechnet diesen Titel verwendet?
Gert:
 Es lag uns am Herzen und bot sich an. Symbolisch haben wir es auf dem Cover dargestellt mit einer Collage des Bildes von Hieronymus Bosch.

Das Erfolgsrezept, warum es uns noch gibt:  Wir haben einfach Freude daran, Musik zu machen.

Hattet ihr jemals vor, die Spielleut zu eurem Beruf zu machen?
Gert:
 Nein, es war immer als Hobby gedacht. Das war auch gut und richtig so, sonst würde es uns heute nicht mehr geben. Mit einer Familie im Hintergrund Terminen nachjagen zu müssen, das wäre in die Hose gegangen
Willi: Das Erfolgsrezept, warum es uns noch gibt: Wir haben einfach Freude daran, Musik zu machen.
Gert: Natürlich bleiben Höhen und Tiefen bei einer Gruppe, die über zwanzig Jahre besteht, nicht aus. Auch bei uns hat es gefetzt und geknallt. So war es gut, daß wir nicht ständig aufeinanderhockten und davon unseren Lebensunterhalt verdienen mußten. Wir konnten auseinandergehen, und jeder hatte seinen Gelderwerb irgendwo anders. Das war wichtig.


von links: Hartwig Büsemeier, Rolf Janssen, Heidi Zmuda, Martina Sirtl, Dietmar Raschke, Gert Dannemann und Willi Schühle - diese Besetzung spielte z.B. beim Maulbronner Klosterfest 2001 zusammen -  Anmerkung der SPIELLEUT -

 

Es gab ja zahlreiche Wechsel in der Besetzung. Zum Beispiel hattet ihr Elke Rogge dabei, die dann zu Hölderlin Expreß wechselte.
Gert:
 Ja, sie hatte uns als Straßenmusiker in Stuttgart gesehen, kam mit einer Flöte auf uns zu und meinte: „Bei euch will ich anfangen“. Da war sie siebzehn. In kurzer Zeit wurde sie eine wahre Virtuosin auf den verschiedensten Instrumenten. Da wir nicht professionell arbeiten, wurde ihr die Gruppe nach rund neun Jahren jedoch zu eng, und sie verließ uns. Aber gemessen an der Zeit, die es uns bereits gibt, haben wir verhältnismäßig wenig Umbesetzungen gehabt. Es sind noch immer vier Mitglieder der Anfangszeit mit dabei. Lange Zeit war auch Rolf Janssen mit von der Partie. Bereits auf der ersten Platte sang er im Background mit und war rund zwölf Jahre bei uns, bis er vor einigen Jahren aus familiären Gründen umzog. 
Willi: Da jeder von uns seinen normalen Beruf hat, in dem er sich ebenfalls weiter entwickeln mußte, hat es oftmals nicht mehr zusammengepaßt. Michael wurde zum Beispiel Instrumentenbauer und zog deshalb zu Günther Körber in den Odenwald.
Gert: Dieser war sehr wichtig für die Frühe Musik, weil er sämtliche Holzblasinstrumente gebaut hat. Leider ist er vor einigen Jahren gestorben. Sehr viele Mittelaltergruppen haben Körber-Instrumente.
Wir haben übrigens stets großen Wert darauf gelegt, auch Frauen in der Gruppe zu haben. Anfangs waren wir ja nur vier Männer, bis Martina hinzukam. Die beklagte sich eines Tages, die einzige Frau zu sein, und ab da hatten wir immer zwei Frauen in der Band. Männer unter sich werden so ein Männerverein; Frauen schaffen da einen guten Ausgleich.

Wer ist die zweite Frau in eurer Band?
Gert:
 Nach Elke Rogge und Elke Büttner kam Heidi Zmuda, wie Martina ebenfalls eine Pädagogin, die an der Musikschule Gitarren- und Flötenunterricht gibt. 
Willi: Wir dachten uns: Eine Musikpädagogin könnte uns als Gruppe gut tun...

Ihr habt also in einem luftleeren Raum begonnen ohne Archivmaterial an Noten. Wie kam es dann zur Gründung des Verlags der Spielleute?
Gert:
 1988 hat Martina zwei Bändchen „Schnurrpfeiffereyen“ mit Stücken - zusammengestellt von Musikern der Eveshausener Treffen - graphisch aufbereitet. Als sie dafür einen Verlag fand, hatte dieser schnell Probleme mit dem Vertrieb. Zudem war er nicht so sehr an der Musiksparte interessiert. Irgendwann saßen wir demnach über einer Auflage eigener Bücher, an die wir nicht mehr herankamen, die aber auch nicht verkauft wurde. Zudem hatte Martina bereits einen weiteren Band zusammengestellt. So wurde die Idee geboren, selbst einen Verlag zu gründen. Jedes Gründungsmitglied steuerte einen Betrag bei, mit dem wir starten konnten. Doch hatte keiner von uns eine Ahnung vom Geschäft, vom Druck oder gar vom Verlagswesen.

Wer war an der Gründung beteiligt?
Gert:
 Dies waren von den Spielleut Willi, Hartwig, Martina, Dieter, Michael Hofmann und ich sowie der Musiker Michael Bretting und der Instrumentenbauer Jürgen Ross, der auf dem Standesamt arbeitete und sich deshalb ein wenig im Bürgerlichen Gesetzbuch auskannte. Wir mußten uns die Form der Firma überlegen und entschieden uns für eine GbR, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Wir kauften die Restauflage der „Schnurrpfeiffereyen“ und vertrieben sie im eigenen Verlag. Gemeinsam mit Elke Rogge stellten wir dann das Buch „Der Tanzbär“ zusammen. Michael kam hinzu mit seiner Dudelsackpflege, und so fing alles an.  
Willi: Bei „Der Tanzbär“ haben wir ja nicht nur konzeptionell gearbeitet, sondern auch die Musik dazu geliefert.
Gert: Wir wollten den Leuten neben dem Tanzbuch die Musik gleich auf Cassette zur Verfügung stellen, damit sie für den Tanz nicht eigens Musiker brauchen. Da nun Musikproduktionen hinzukamen, war es naheliegend, zusätzlich ein Label zu gründen. Als Spielleut produzierten wir selbst gerade unsere erste CD. 
Willi: „Blas mir den Hobel aus“ war die erste LP und CD, die wir im eigenen Verlag herausbrachten. Aus dem Grund hat sie noch keine LC-Nummer. Diese wird einem Label von der GVL - Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten - erst dann vergeben, wenn es bereits ein Produkt vorweisen kann.
Gert: Hinterher haben wir Aufkleber gedruckt und diese auf die LP oder CD geklebt. Bald kamen dann auch andere Gruppen auf uns zu, die uns ihre Produktionen anboten.

Allerdings haben wir auch schon Produktionen veröffentlicht, die uns wichtig waren, obwohl wir bereits vorher wußten, daß sie sich nicht rechnen würden.

Unter welchen Gesichtspunkten sucht ihr diejenigen aus, die ihr in euer Verlagsprogramm mit aufnehmt?
Gert: 
Das ist eine sehr knifflige Frage. Erste Überlegung: Paßt dies in unser Gesamt-Konzept? Wir geben beispielsweise kein Blue Grass heraus. Nächste Frage: Ist die Produktion in der musikalischen Qualität aufgenommen, die wir anstreben? Befindet sie sich nicht auf entsprechendem Niveau, könnte sich jedoch möglicherweise gut verkaufen oder für die Gruppe wichtig sein...
Willi: ... oder für die Szene als Anstoß entscheidend sein...
Gert: ... ist dies die Gratwanderung, auf der wir uns bewegen. Es gab durchaus Fälle, in denen wir sagen mußten: Dies ist entweder musikalisch oder von der Aufnahme her zu schlecht. Den Gruppen gegenüber Absagen zu erteilen, ist allerdings
 eine verzwickte Sache.

 


von links: Hartwig Büsemeier, Martina Sirtl, Dietmar Raschke, Heidi Zmuda,
Gert Dannemann und Willi Schühle - die Besetzung zur Zeit des Interviews
-Anmerkung der SPIELLEUT -

 

Was würdet ihr demnach Gruppen raten, die gern eine CD bei euch herausbringen möchten? Was müssen sie euch liefern? 
Gert:
 Da wir Booklets und Titelbilder mitgestalten, können wir nur raten: Je früher sie kommen, desto besser. So sind wir in der Lage, noch beim Konzept beraten zu können. Wenn aber alles bereits im Studio fertig abgemischt wurde, kann höchstens noch die Reihenfolge geändert werden. Somit früh mit dem Verlag Kontakt aufnehmen, Hörbeispiele schicken, das Vorhaben schildern, dann können wir bereits im Vorfeld sagen, ob wir Interesse haben oder nicht. Gern stellen wir Berater zur Seite oder die Verbindung zu einem günstigen Studio her, das Erfahrung hat und helfen kann. 
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist natürlich, wie viel Geld wir für eine Produktion ausgeben können sowie die Frage des Absatzes. Wir haben bis zu sechzig eigene Produkte. Unser Geld liegt also fest in Form eines Lagerbestandes an Büchern und CD’s. Für eine neue Produktion muß jedoch ein gewisser Geldbetrag flüssig gemacht werden. Erst wenn das Produkt verkauft ist, kommt dieser wieder herein. Wir müssen somit haushalten. Allerdings haben wir auch schon Produktionen veröffentlicht, die uns wichtig waren, obwohl wir bereits vorher wußten, daß sie sich nicht rechnen würden.

Das hört sich jetzt sehr idealistisch an...
Gert:
 Zum Teil schon. Jedoch darf dies nicht zum täglich Brot eines Verlags werden, sonst können wir einpacken! Bisher hat er sich zumindest dreizehn Jahre in der Weise gehalten, daß wir weitermachen können. 

Doch nehmen wir dies gern in Kauf, weil es Spaß macht, wir viel dabei lernen und anderen auch noch nützlich sein können.

Wie ist die Verteilung der Verlagsarbeit geregelt? 
Gert:
 Michael ist halbtags für die Managertätigkeiten sowie die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, nimmt Kontakt mit den Gruppen auf und gestaltet die Booklets. Ansonsten ist er mit seinem eigenen Instrumentenbau beschäftigt. Meine Frau erledigt die Buchhaltung und gestaltet das Layout der Bücher. Ich übernehme das Lektorat, auch für ausländische Produktionen, die wir ins Deutsche übersetzen. Willi hilft bei fotografischen, Martina bei graphischen Arbeiten. Wir bräuchten noch mehr Leute, können diese aber nicht bezahlen. Von der Arbeitszeit her beuten wir uns selber aus. Doch nehmen wir dies gern in Kauf, weil es Spaß macht, wir viel dabei lernen und anderen auch noch nützlich sein können. 

Willi, kannst du etwas über deine fotografische Arbeit berichten?
Willi:
 Anfangs habe ich in der eigenen Dunkelkammer mit  Schwarz-Weiß-Fotos experimentiert. Inzwischen - dank der modernen Computer-Technik  - kann ich den Stil verwirklichen, der mir schon immer vorschwebte. Ich probiere sehr viel aus, um Fotos künstlerisch zu gestalten. Vor allem mache ich Portraits, auch von Bands der Mittelalter-Szene, die ich interessant finde. Diese stelle ich dann als persönliche Online-Galerie in meiner Homepage ein.

Wie beurteilt ihr die verschiedenen Stilrichtungen, die in der Mittelalter-Szene entstanden sind?
Gert:
 Ich habe damit kein Problem und finde die Versuche sehr gut, mit der Alten Musik zu experimentieren. Ich finde es toll, daß es alle möglichen Stilarten gibt. Schon Ougenweide hat bereits ganz früh mit diesen Experimenten begonnen.
Willi: Natürlich gibt es auch Dinge, die ich mir nicht antun muß. Aber durch diese Auseinandersetzung kann ebenfalls wieder Neues entstehen. Und dem Hörer schreibe ich nicht vor, was er konsumieren soll.
Gert: Ich kann jedoch nichts anfangen mit Weltmusik, wo aus allen möglichen Ecken der Erde etwas genommen, in einen Topf geschmissen und umgerührt wird. Da kommt irgendeine Soße heraus. Zwei, drei Elemente und die zu Ende gebracht, das hat mehr Substanz. Zuviel bedeutet nicht, daß es immer besser wird. Das Gegenteil ist eher der Fall. Wir selbst haben fünfzehn Jahre dafür gebraucht, bis wir feststellen konnten: Weniger ist fast immer mehr. 

Tatsächlich ist es eine Show und alle Bands, die ehrlich mit sich sind, sind sich dessen bewußt.

Wie habt ihr im Rückblick in den über zwanzig Jahre eures Bestehens euer Verhältnis zur Mittelalter-Szene erlebt?
Gert:
 Als wir 1977 begannen, trafen wir auf ein Publikum, das diese Art von Musik noch nie gehört hatte und ihr staunend gegenüberstand. Wir mußten es erst allmählich dafür öffnen und immer wieder Drehleier und Dudelsack erklären. Heutzutage kennt ein Großteil der Hörer diese Instrumente bereits. Insgesamt ist das Publikum heute ein Stück weiter. Allerdings ist es - wie bereits gesagt - sehr schwer, echte Mittelaltermusik zu finden und diese bei Märkten öffentlich zu spielen. Früher war die Musik nicht so laut und wurde nicht von so großen Musikergruppen aufgeführt. Da sie zudem für heutige Hörgewohnheiten nicht sehr eingängig ist, muß gemogelt werden. Mittelaltermusik wird im modernen Volksverständnis vor allem mit Renaissance-Musik gleichgesetzt, was jedoch nicht stimmt.  So gibt es viele Bands, die die für uns völlig abgeleierten Melodien bis zum Geht-nicht-mehr auf einem musikalisch oft unglaublich schlechtem Niveau herunterdudeln und diese Musik somit verbraten. Allerdings können Musiker auf den Märkten kaum anders spielen. Auch das ist eine schwierige Gratwanderung. Sie dürfen jedoch nicht behaupten, echte Mittelaltermusik aufzuführen. Tatsächlich ist es eine Show und alle Bands, die ehrlich mit sich sind, sind sich dessen bewußt - trotz des Spaßes und des Geldes, das sie damit verdienen. Ausnahmen hiervon sind alteingesessene Veranstaltungen, bei denen Gruppen Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen diese im Nischenprogramm gute Musik bieten können. Das kommt aber leider viel zu selten vor. 


von links: Hartwig Büsemeier, Rolf Janssen, Gert Dannemann,
Heidi Zmuda, Martina Sirtl und Willi Schühle
In dieser Besetzung werden wir ab 2002 spielen. Dietmar wird uns Ende 2001 leider verlassen und Rolf kommt zu uns zurück - es wird/bleibt interessant!
- Anmerkung der SPIELLEUT –

 

Die Festivals der Spielleute waren ja eine solche Nische...
Gert:
 Ja, anfangs war das auch eine sehr schöne Sache. Die ersten zwei, drei Mal waren wir auch mit dabei. Dann aber kam immer mehr Musik hinzu, die unter der falschen Flagge segelte. Ich habe mich dann geweigert, weiter auf diesen Festivals aufzutreten. Bei einem Stadtfest, wo wir nicht an Mikrofone und Sendepläne gebunden sind, macht es mehr Spaß. Im Endeffekt mutierte das Festival zu einer Art Karl Moik auf anderem Niveau.

Nun wurden aber Gruppen wie Hölderlin Expreß oder Adaro durch diese Festivals einem größeren Publikum vorgestellt.
Gert:
 Das stimmt schon. Leider fehlt ansonsten für Mittelalter-oder Renaissancemusik in Funk und Fernsehen ein Forum. Sie wird wohl als nicht publikumsträchtig angesehen, obwohl sie meiner Meinung nach publikumswirksam aufbereitet werden könnte. Es müßte aber ein Konzept her, bei dem auch Fachleute zur Musikgeschichte zu Wort kommen. Bei den Festivals der Spielleute dagegen gingen Gruppen wie Oni Wytars, die auf einer sehr hohen musikalischen Stufe stehen, unter.
Willi: Hinter den Anfängen des Festivals auf Burg Wildenstein konnten wir stehen. Später waren wir lediglich Beiwerk für eine Klientel, die im Grunde nur die Musik der Aufmacher hören wollte.


Hier nochmals die 7er Besetzung aus 2001.
von links: Willi Schühle, Heidi Zmuda, Dietmar Raschke, Hartwig Büsemeier,
Rolf Janssen, Gert Dannemann und Martina Sirtl.
- Anmerkung der SPIELLEUT -

 

Nun gibt es die Spielleut im kommenden Jahr fünfundzwanzig Jahre. Ist eine besondere Jubiläums-Feier geplant?
Gert: 
Anläßlich unseres zehnjährigen haben wir uns an einem Wochenende im Odenwald getroffen und all jene eingeladen, die uns am Herzen liegen sowie Gruppen und Musiker, die wir gern schon immer näher kennenlernen wollten. Unter anderem waren auch die Freiburger Spielleyt dabei. Wir haben Vornamen auf Zettel geschrieben, aus denen sich ad hoc-Gruppen aus fünf Leuten zusammenfinden mußten. Diese sollten sich einen Namen geben und Musikstücke erarbeiten. Die Musik wurde am Abend gespielt, und das wurde sehr lustig... Aber jetzt... Wir werden ja älter! Als Rentner auf der Bühne sehe ich mich nicht...

Aber ihr gebt doch noch Konzerte...
Gert:
 Ja, das geht noch ein paar Jahre, dann werden wir uns wohl aufs Altenteil zurückziehen und die Sache von außen angucken.

Bis dahin weiterhin viel Spaß an der Freud‘!

dame

 

 

 

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